ERÖFFNUNGSREDE DER AUSSTELLUNG „LICHTRÄUME“, GALERIE LÜTH 2019
Verehrte Künstlerin,
Herr Lüth,
meine Damen und Herren,
es ist mir eine große Ehre heute hier ein paar Minuten sprechen zu dürfen, anlässlich dieser wichtigen Ausstellung und in dieser hoch angesehen Galerie: 100 Publikationen aus diesem Haus dokumentieren die Bedeutung.
Weiteres schüchtert mich ein wenig ein: Ich verfüge über keine Expertise, hatte keinen öffnenden Kunstunterricht, verfüge allenfalls über ein rein naives unmittelbares, natürlich theoriefreies Kunstverständnis. Umso mehr ehrt es mich, zum dritten Mal seit 2002 eine Ausstellung von Frauke Petersen eröffnen zu dürfen.
Aber das deutet das nächste Problem an: Diese Texte sind zugänglich, was mich natürlich sehr ehrt, aber als Kollateralschaden zur Folge hat, dass ich heute nicht mit copy and paste arbeiten kann.
Und schließlich hat im Jahr 2014 mit Dirk Schwarze ein wirklich Berufener die letzte Ausstellung von Frauke Petersen hier im Haus eröffnet. Um diesen Druck los zu werden, habe ich entschieden, seinen viel gepriesenen (und gewiss auch heute zu erwerbenden) Katalog erst heute Abend zu lesen. – Das können Sie mir glauben oder auch nicht.
Mein Vorgehen: Ich mache das, was ich als Historiker kann. Ich versuche anhand von Leitfragen ein wenig Ordnung in die Betrachtungen zu bringen: Ich stelle zunächst die Frage nach Wandel und Kontinuität im Werk von Frauke Petersen.
Zum zweiten werden Aspekte von Rekonstruktion und Konstruktion im Mittelpunkt stehen, wenn ich versuche anhand von Beispielen der hier ausgestellten Werke meine unmittelbaren Anmutungen in eine Beziehung zum Thema der Ausstellung zu bringen.
Denn den programmatischen Titel hat die Künstlerin vorgegeben: Lichträume.
Wenn wir den Titel zerlegen und daraus Begriffspaare Licht und Schatten sowie Raum und Fläche bilden, so können wir uns manchem Phänomen der ausgestellten Werke nähern.
I. Wandel und Kontinuität
Doch zunächst zu Wandel und Kontinuität, zur künstlerischen Biografie von Frauke Petersen.
1950 am Rand des Tümlauer Koogs geboren ist sie nach ihrer Kunstausbildung in Hamburg seit 1998 freischaffende Künstlerin im Koogsweg 1, in St. Peter-Ording, nämlich mit Wohnsitz und Atelier im Geburtshaus, inzwischen ausschließlich dort lebend.
Sie ist Mitglied des BBK, oft auf der Landesschau vertreten, blickt auf zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen und eigene Ausstellungen zurück.
Auch wenn das schöne Atelier eher für Wandel im Elternhaus steht, deutet die Präsenz auf eine stabile regionale Verwurzelung, auf eine starke Kontinuitätslinie.
Aber, wer das Atelier kennt, weiß auch das: Sie lebt (fast) am Deich. Da geht man rauf und guckt man rüber, in die Weiten des Watts, der Nordsee; da stellt man sich dem Sturm, dem Neuen, dem Anderen, der Neugier.
Sturm und Regen, Watt und Sand, der Rhythmus der Gezeiten, Deiche und Marsch, all das ist schon eine besondere Welt.
Das gilt insbesondere für das Licht: Nirgendwo sonst kommt und geht die Sonne so schnell, intensiv und unkalkulierbar.
Dass Frauke Petersen ein Material wie Sand und ein Thema wie Licht wählt, verwundert kaum, wenn man eine heimatliche Verwurzelung unterstellt.
Auch Material und Arbeitstechnik Frauke Petersens drücken fraglos ein erhebliches Maß an Kontinuität aus:
Die spezifische Mischtechnik basiert zunächst auf zielgerichteter Farbfotografie. Vergrößerte Positive zieht die Künstlerin auf MDF-Platten, in baumarktdeutsch „mitteldichte Faserplatten“. Im nächsten Schritt werden sie (meist) mit Sand und neuerdings auch mit Farbauftrag bearbeitet. Insbesondere die selbst entwickelte und zur Perfektion gebrachte Technik des strukturieren oder gleichmäßigen Aufbringens von - seit einigen Jahren farbigem - Sand markiert die Arbeiten von Frauke Petersen.
Derart ge- und beschaffene Muster oder Flächen, die perfekt abgegrenzt sind, greifen ein in Strukturen und Konturen, in Raum- und Lichtwahrnehmung.
Material und Grundtechnik sind seit zwei Jahrzehnten konstant, Formen und Farben, neuerdings auch eigenständig, wandeln sich.
Die thematische Vielfalt, die die Künstlerin sich - und uns - mit diesem festen Repertoire an Techniken erschließt, ist beeindruckend.
Anfangs ging es um das abstrakte Spiegeln der heimatlichen Strand- und Wattlandschaft: Linien des Watts, geschwungen, der Natur entlehnt, durch Sandaufträge extrem abstrahiert, damit verfremdet. Verschiedene Stationen und Phasen schlossen sich an: (abstrakte) Landschaften, Schatten, Architekturen, Körperlandschaften.
Jetzt rücken immer stärker zwei Aspekte in den Vordergrund des Schaffens: Licht und Schatten, Linien, Flächen und Räume der (ich komme darauf zurück) nichteuklidischen Geometrie.
Eine erste naive Anmutung beim Betreten dieser aktuellen Ausstellung könnte lauten: gefällt, gefällig, vielleicht gar dekorativ. Aber seien Sie gewarnt: Das ist ein Irrtum. Diese Objekte haben ein Eigenleben, sind manchmal sperrig oder gar irritierend, meistens Platz einnehmend.
II. Dekonstruktion und Konstruktion
Blicken wir auf einige ausgewählte Bilder aus der Ausstellung, kommen zum Thema Dekonstruktion und Konstruktion.
II.1
Ein Treppenhaus ist ein Treppenhaus. Oder?
Betrachten wir die Einladungskarte: Die kleine Postkarte zieht, wenn Licht auf sie fällt, Aufmerksamkeit auf sich, kommuniziert, zieht in den Bann, sogar auf erhebliche Distanz. Das Original hängt, umso beeindruckender. In pastellenen Grau- und Blautönen gehalten erkennt man ein lichtes, dreidimensionales Treppenhaus. Trotz erheblicher Sandflächen handelt es sich um eine - kaum - gestörte Räumlichkeit. Oder..., setzt bei genauer Betrachtung nicht doch eine Irritation ein? Stimmt da vielleicht was nicht?
Wir sehen in der Ausstellung eine Reihe von Treppenhausbildern. Die Palette ist vielfältig, das beginnt schon bei den unterschiedlichen Perspektiven der Fotografien. Manchmal reduziert die Sandfläche die Tiefenwirkung, verflacht den Raum; in anderen Fällen geschieht eher das Gegenteil. Hin und wieder verändert die künstlerische Sand-Intervention Licht-Schattenverhältnisse.
Es hängen auch Alternativen, in kleinerem Format durchgespielte Varianten derselben Treppenhäuser. Man mag darin den Weg der künstlerischen Entscheidung bis zur großen Ausführung erkennen, man kann auch spüren, wie bei leicht gewandelten künstlerischen Eingriffen ganz andere, neue Objekte entstehen.
Und schließlich lässt sich unsere ganze Realitätswahrnehmung aushebeln, obwohl wir ein Treppenhaus erkennen: Das abstrakte Treppenhaus, völlig der Realität enthoben, gesehen als gekrümmte, spiralförmige Pyramide.
Das ist verstörend, aber es lässt sich an der ganzen Wand studieren: Mal stärker und mal weniger stark, übrigens ohne erkennbare Regel, werden die Gesetze des euklidischen Raumes aufgehoben, also der Reproduktion unseres realen dreidimensionalen Raumes. Künstliche, gebrochene Räume, bis hin zur Auflösung der Vorstellung. All das, obwohl sie auf realen Fotografien basieren.
Mathematiker, die gekrümmte oder komplexe Raumwelten erdenken können, dürften ihre Freude daran haben.
II.2
Bei einigen räumlichen und auch anderen eher flächigen Bildern scheint allein die Geometrie die Künstlerin geleitet zu haben. Aber auch diese Objekte haben Fotografien zur Grundlage, die allerdings durch den Bearbeitungsprozess teilweise weit in den Hintergrund treten.
Flächen mit geraden Kanten, Dreiecke, Vierecke und andere Ecken, klare lange Linien und Kanten: Diese Bilder sind (meist) scharf konkurriert. Strenge und Disziplin sind zu spüren, und die Perfektion in der Ausführung.
Seit vielen Jahren unterstützt Farbe die Ausdrucksmöglichkeiten von Frauke Petersen. Die Farbtöne kommen überwiegend, aber nicht ausschließlich aus dem Pastellspektrum.
Gleich ein Gegenbeispiel liefert die zweite Postkarte der Ausstellung, auch das Original hängt hier: der Stuhl mit einem blauen Schatten. Vier Sandflächen in drei Farben verändern die Fotografie weiter kardinal. Das Ergebnis: Schattenwürfe, die mit der Stuhlhardware gleichrangig auf einer Ebene kommunizieren.
Wir sind bei Licht und Schatten, einem blauen Schattenwurf als Mittelpunkt.
II.3
Biografisch etwas zurückliegend, wenn ich das richtig deute, sind die drei in deutlichem Blau und Rot operierenden Architektur-Ansichten: Auf den schon sehr starken Motiven und Perspektiven werden durch Intervention der Künstlerin Licht und Schatten verstärkt sowie die geometrische Struktur aus der Wirklichkeit geholt, zu einem neuen Kunstprodukt erweitert.
Ausgangspunkte der Arbeiten von Frauke Petersen sind unbelebte Fotografien. Gerade an diesen Beispielen gewiss bewohnter Hochhäuser will ich das betonen. Natur, Flora und Fauna spielen (fast) keine Rolle, humane Spuren sind mit er Lupe zu suchen. Man freut sich richtig, wenn man mal eine Zigarettenkippe entdeckt. Die Motivauswahl für die fotografischen Untergründe wird offenkundig bestimmt von einer Orientierung an Mustern, Formen, Linien, räumlichen Konturen sowie an Licht und Schatten.
Sie werden es vielleicht gemerkt haben, ich deute immer wieder leichte Einschränkungen an, wenn ich generalisierende Aussagen über die Arbeit von Frauke Petersen mache. Es stimmt selten ganz, es gibt oft Ausnahmen. Ein Objekt der Ausstellung zeigt einen Menschen, zwei andere Schattenwürfe von Pflanzen, Flora also. Das sind Experimente, Öffnungen, das ist der Deich!
II.4
Bei architektonischen Arbeiten Frauke Petersens ist eine zunehmende Fokussierung auf Einsichten erkennbar. Das korrespondiert - nicht nur in der Hängung - mit ihrer Bearbeitung von Innenräumen wie Treppenhäusern.
Wir sehen verfremdete Einblicke in bebaute Grundstücke. Und wir erleben (in zwei leicht unterschiedlichen Bearbeitungen) einen Nebeneingang des Husumer Rathauses völlig neu: Die künstlerische Intervention sorgt für Akzentuierungen und Verfremdungen von Licht und Schatten, von Raum und Perspektive. Flächen – ich sehe verputzten Backstein und einen genoppten Bodenbelag, übrigens eine tradierte Strukturtechnik der Künstlerin – sind stark überarbeitet.
Obwohl gerade Husum und gleich auch noch St. Peter-Ording die Entstehungsorte der aufgezogenen und bearbeiteten Fotografien sind, ist die Frage nach der regionalen Verortung der Kunst nur komplex zu beantworten. Material und Motiv mögen der Region entnommen sein, im Bearbeitungsprozess werden sie geografisch völlig befreit, entsteht eine eigene, nicht mehr verortbare Identität der Objekte.
Die Künstlerin abstrahiert. Sie dekonstruiert (vermeintliche) Realitätsabbildung und konstruiert, erschafft Neues, völlig Eigenständiges. Das Husumer Rathaus entschwebt.
II.5
Zwei faszinierende Räume hat die Künstlerin geschaffen aus Fotografien in Untersicht von Strandkorb-Podesten in St. Peter-Ording.
Und zwar hat sie, wir können es an diesem Beispiel gut studieren, dekontextualisiert und dabei anders fotografiert, als wir es täten. Ich vermute: Wir würden mit unserer Kamera das Momentum sichern und reproduzierbar machen. Wir würden unsere romantische oder ästhetische Anmutung dieser wunderbaren Sonneneinstrahlung im Unterbau konservieren, zurückholen können wollen.
Auf den ersten Eindruck mögen die beiden Pfahlbautenbilder tatsächlich anmuten wie eine schöne Urlaubserinnerung. Blicken wir aber genauer hin: Für Frauke Petersen waren die Fotografien Ausgangspunkte für ihre Bearbeitung zu Unikaten, zu neuen Objekten eigener neuer Identität. Es sind keine Pfahlbauten mehr, sondern abstrahierte Auseinandersetzungen mit Licht und Schatten.
Da marschieren zwei Pfähle förmlich aus dem Bild. Aber wohin, es gibt keinen richtigen Horizont und Himmel mehr! Ein Eindruck, der beim Nachbarbild noch stärker auftritt. Aus eigentlich unendlicher Weite entstehen geschlossene Räume mit Wänden statt Horizonten. Das sind schon nachhaltige Interventionen.
Wir lernen: Leichte Eingriffe der Künstlerin führen zur Reflexion unserer Wahrnehmung. Was habe ich erwartet, was irritiert mich, was sehe ich sonst? Die Gefälligkeit des ersten Momentes wird aufgehoben, ein Haken gesetzt.
II.6
Ein letzter Hinweis: Wir finden wir in einer Ecke ein wichtiges neues Element und an einigen Orten der Ausstellung die Wiederaufnahme bewährter Techniken.
Neuerdings erweitert die Künstlerin ihr Instrumentarium der Bearbeitung um Malerei mit Ölkreide. Markanterweise sind dabei die Sandflächen weiterhin jeweils sauber und monochrom sowie glatt gestrichen, während flächige Malanteile farblich eher marmoriert, oder schattiert auch uneben, also in Ölkreide aufgetragen erscheinen. - Ein spannungsvoller, überraschender Kontrast.
Die mehrfach zu findende (Wieder-)Nutzung strukturierter, gemusterter Sandflächen erweitert ebenfalls die Optionen.
Neue Technik und Wiederaufnahme könnten einen künstlerisch-biografischen Ausblick andeuten. - Aber in die Zukunft können und wollen wir nicht gucken.
III Schluss
Ich komme zum Schluss. Es ist für mich immer wieder faszinierend zu erleben, wie überraschend, horizonterweiternd, ja wie bereichernd Kunst sein kann. Ob es mir gelang, diese Freude und Dankbarkeit auszudrücken, weiß ich nicht.
Jedenfalls gilt: Die Ausstellung „Lichträume“ liefert uns einen breiten und vielfältigen Einblick in die aktuelle, spannende und bereichernde Arbeit Frauke Petersens. Dank dafür, vor allem an die Künstlerin.
Ich habe versucht, ein paar laienhafte, extrem subjektive Eindrucke und Überlegungen zu formulieren. Sie können gleich mit Ihren Sinnen (und im Gespräch mit der Künstlerin selbst), alles korrigieren.
Ich danke für Ihre Toleranz und Geduld.
Prof. Dr. Uwe Danker, 2019